Déclaration de Davos 2018 - Eine hohe Baukultur für Europa

Wir, die europäischen Kulturminister und Delegationsleiter der Vertragsstaaten des Europäischen Kulturabkommens und der Beobachterstaaten des Europarats, Vertreter der UNESCO, von ICCROM, des Europarats, der Europäischen Kommission, des Architects‘ Coucil of Europe, des European Council of Spatial Planners, von ICOMOS International und Europa Nostra, zusammengetreten in Davos, Schweiz, vom 20. bis 22. Januar 2018 auf Einladung des Schweizerischen Bundespräsidenten und Vorstehers des Eidgenössischen Departements des Innern, Alain Berset, anlässlich des Europäischen Jahres des Kulturerbes, vor dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums,

in Erwägung, dass die gegenwärtigen Herausforderungen, wie die langfristigen Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die vierte industrielle Revolution, die zunehmende Urbanisierung, die Entvölkerung peripherer Regionen, die Migration und der demographische Wandel, die wachsenden Ungleichheiten, der Klimawandel und die Umweltschäden, bedeutende Auswirkungen auf unseren Lebensraum haben;

in dem Bewusstsein, dass die internationale Gemeinschaft wesentliche Schritte für eine inklusivere und nachhaltigere Welt unternommen hat, aber auch in dem Bewusstsein der dringenden Notwendigkeit, diese Anstrengungen zu verstärken und neue Wege zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Werte der gebauten Umwelt Europas zu entwickeln;

in der Erkenntnis, dass eine gebaute Umwelt von hoher Qualität wesentlich zur Bildung einer nachhaltigen Gesellschaft beiträgt, die sich durch eine hohe Lebensqualität, kulturelle Vielfalt, Wohlbefinden der Individuen und der Gemeinschaft, soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt sowie eine leistungsstarke Wirtschaft auszeichnet;

in dem Bewusstsein, dass sich überall in Europa ein allgemeiner Verlust an Qualität der gebauten Umwelt und der offenen Landschaften abzeichnet, was sich in einer Trivialisierung des Bauens, in fehlenden gestalterischen Werten und einem fehlenden Interesse für Nachhaltigkeit, in zunehmend gesichtslosen Agglomerationen und verantwortungslosem Landverbrauch, in einer Vernachlässigung des historischen Bestandes und im Verlust regionaler Identitäten und Traditionen zeigt; in dem Bewusstsein, dass es höchste Zeit ist, Massnahmen zu ergreifen, die gewährleisten, dass die gegenwärtigen und zukünftigen sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und klimatischen Entwicklungen und Trends die Qualität der gebauten Umwelt nicht weiter schmälern, sondern als Chance für Verbesserungen genutzt werden, und in dem Bewusstsein, dass das Europäische Jahr des Kulturerbes 2018, dessen Ziel es ist, den Wert der historischen Dimension der gebauten Umwelt anzuerkennen, der richtige Zeitpunkt ist, dies zu tun;

nachdrücklich darauf hinweisend, dass jede Person unabhängig ihres Hintergrunds das Recht hat, die kulturelle Umwelt zu erleben, sie zu teilen und zu ihr zu gehören, dass die Art, wie wir zusammenleben und uns als Gesellschaften entwickeln, grundlegend kulturell bedingt ist und dass daher die Gestaltung unseres Lebensraums in erster Linie ein kultureller Akt ist;

erklären:
Die zentrale Rolle der Kultur für die gebaute Umwelt
1. Kultur ermöglicht und fördert wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Sie formt unsere Identität und bestimmt, was wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen. Sie muss daher im Zentrum politischer Entwicklungsstrategien stehen, und ihr Beitrag für das Gemeinwohl muss hervorgehoben werden. Es gibt keine demokratische, friedliche und nachhaltige Entwicklung ohne Kultur.

2. Politische Strategien müssen die Notwendigkeit herausstreichen, überall und auf allen Ebenen nachhaltige, und auf Kultur ausgerichtete Entwicklungsansätze zu erarbeiten. Der Wert und die Unersetzlichkeit der Landschaften und des Kulturerbes Europas müssen unterstrichen werden, wobei der Schwerpunkt nicht nur auf Städte und urbane Räume, sondern auch auf periphere und ländliche Räume und deren Vernetzung zu legen ist.

3. Die gebaute Umwelt muss dringend in einem ganzheitlichen, auf die Kultur ausgerichteten Ansatz betrachtet werden, und es braucht eine humanistische Vision, wie wir die Orte, in denen wir leben und das Vermächtnis, das wir hinterlassen, gemeinsam gestalten.

Der Begriff Baukultur
4. Baukultur umfasst die Summe der menschlichen Tätigkeiten, welche die gebaute Umwelt verändern. Die gesamte gebaute Umwelt muss als untrennbare Einheit verstanden werden, die alle gebauten und gestalteten Güter umfasst, die in der natürlichen Umwelt verankert und mit ihr verbunden sind. Baukultur umfasst den gesamten Baubestand, einschliesslich Denkmäler und anderer Elemente des Kulturerbes, sowie die Planung und Gestaltung von zeitgenössischen Gebäuden, Infrastrukturen, vom öffentlichen Raum und von Landschaften.

5. Neben der architektonischen, konstruktiven und landschaftsarchitektonischen Gestaltung und ihrer Materialisierung, umschreibt Baukultur auch planerische Massnahmen im Städte- und Siedlungsbau sowie der Landschaftsgestaltung.

6. Unter Baukultur sind sowohl konstruktive Details als auch grossräumige Umgestaltungen und Entwicklungen zu verstehen, die traditionelles lokales Wissen und Können des Bauens ebenso umfassen wie innovative Techniken.

Unsere Vision einer hohen Baukultur
7. Wir brauchen dringend einen neuen integrierten Ansatz, um unsere gebaute Umwelt zu gestalten, einen Ansatz, der in der Kultur verankert ist, der den sozialen Zusammenhalt aktiv stärkt, eine nachhaltige Umwelt sicherstellt und zu Gesundheit und Wohlbefinden der gesamten Bevölkerung beiträgt. Dies ist hohe Baukultur.

8. Die Gestalt der gebauten Umwelt, die Beziehung und Wirkung eines Objekts zu seinem natürlichen und gebauten Umfeld, räumliche Kohärenz, Massstäblichkeit und Materialität haben einen direkten Einfluss auf unsere Lebensqualität. Hohe Baukultur drückt sich in einer bewussten und debattierten Gestaltung für alle baulichen und landschaftsrelevanten Tätigkeiten aus, und stellt die kulturellen Werte über den kurzfristigen ökonomischen Profit. So entspricht hohe Baukultur nicht nur funktionalen, technischen und ökonomischen Anforderungen, sondern auch sozialen und psychologischen Bedürfnissen der Bevölkerung.

9. Das Kulturerbe ist ein zentrales Element hoher Baukultur. Die Art, wie wir das Kulturerbe heute nutzen, pflegen und schützen, wird entscheidend sein für die zukünftige Entwicklung einer gebauten Umwelt von hoher Qualität.

Gesellschaftlicher Nutzen einer hohen Baukultur
10. Hohe Baukultur verstärkt unsere Verbundenheit mit dem Ort. Sie ermöglicht der Bevölkerung die Identifikation mit ihrem Umfeld, fördert eine inklusive und solidarische Gesellschaft, wirkt Diskriminierung und Radikalisierung entgegen und unterstützt Integration und Bürgerbewusstsein.
Dies ist nicht nur für Stadtzentren und historische Ortsbilder wichtig, sondern für den gesamten Lebensraum Europas, für suburbane und ländliche Räume, Dörfer, Industriezonen und Infrastrukturen.
11. Hohe Baukultur fördert dynamische und vielfältig genutzte Quartiere. Sie schafft eine gebaute Umwelt, die zeitgemässe kulturelle Ausdrucksformen aufgreift und gleichzeitig das Kulturerbe respektiert. Sie gewährleistet nachhaltige Lebensbedingungen und stärkt die soziale Resilienz, indem sie angemessenen, bezahlbaren und erreichbaren Wohnraum schafft.

12. Hohe Baukultur schont die Umwelt. Sie unterstützt den nachhaltigen Verkehr und eine verantwortungsbewusste Bodennutzung, vermehrt die städtischen Grünflächen und trägt zu Gesundheit und Biodiversität bei.

13. Hohe Baukultur schafft wirtschaftlichen Mehrwert, indem höherwertige und dauerhaftere Güter hergestellt und günstige Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Wohlstand geschaffen werden. Sie nutzt die Ressourcen nachhaltig und ermöglicht dadurch auch kommenden Generationen eine positive soziale und wirtschaftliche Entwicklung.

Wege zu einer hohen Baukultur
14. Hohe Baukultur bedingt ein Gleichgewicht zwischen den kulturellen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und technischen Aspekten von Planung, Gestaltung, Erstellung und Umnutzung im Interesse des Gemeinwohls.

15. Hohe Baukultur muss in den massgeblichen Rechtsnormen berücksichtigt werden. Das zentrale Ziel einer hohen Qualität für die gesamte gebaute Umwelt, einschliesslich des Kulturerbes, muss für jede raumwirksame Tätigkeit zwingend sein. Diese Qualitätsanforderung muss gleichberechtigt neben ökonomischen oder technischen Interessen stehen. Auch geltende Normen und Standards müssen mit dem Ziel der hohen Qualität vereinbar sein.

16. Hohe Baukultur kann nur im interdisziplinären Diskurs und in sektor- und stufenübergreifender Zusammenarbeit von politischen Entscheidungsträgern, zuständigen Behörden und Fachleuten entstehen. Da sie kreative, funktionale und soziale Aspekte beinhaltet, müssen alle relevanten Disziplinen und alle Fachleute gleichberechtigt einbezogen werden. Ein Beispiel zur Förderung hoher Qualität sind interdisziplinäre, breit debattierte Wettbewerbe. Für eine erfolgreiche hohe Baukultur braucht es auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie eine umfassend informierte und mündige Öffentlichkeit.

17. Für eine hohe Baukultur braucht es Bestrebungen im Bereich der Bildung und der Sensibilisierung, damit Baukultur besser beurteilt werden kann. Alle Beteiligten sowohl des privaten als auch des öffentlichen Sektors tragen Verantwortung für die Qualität unserer gebauten Umwelt, die den kommenden Generationen als Vermächtnis hinterlassen wird.

Unter besonderem Hinweis darauf, dass Baukultur als öffentliches Gut in gemeinsamer Verantwortung von Regierungen, Organisationen und des Privatsektors steht und dass das Bewusstsein für die damit verbundenen kulturellen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und technischen Belange dringend gesteigert werden muss, verpflichten wir uns:
18. die Ideen und Grundsätze einer hoher Baukultur bei allen Beteiligten zu verbreiten und zu fördern, einschliesslich der weiteren Regierungsmitglieder und der breiten Öffentlichkeit, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, und die positiven Auswirkungen einer hohen Baukultur für die Gesellschaft in allen relevanten und geeigneten Formen hervorzuheben;

19. bessere politische Strategien einzuführen, die das kulturell fokussierte Konzept von Baukultur umfassen und die Vision einer hohen Baukultur als vorrangiges politisches Ziel einbeziehen;

20. zusätzliche Initiativen und Massnahmen zu unterstützen, die zur Förderung und Umsetzung der Vision einer hohen Baukultur beitragen;

21. alle relevanten Beteiligten des öffentlichen wie des privaten Sektors dazu aufzufordern, die positiven Auswirkungen einer hohen Baukultur auf das Gemeinwohl anzuerkennen und ihre Verantwortungen bei der Umsetzung wahrzunehmen, insbesondere bei allen Baukultur-relevanten Investitionen;

22. andere Weltregionen zu ermutigen, den Wert einer hohen Baukultur anzuerkennen und den weiteren Prozess mitzugestalten;

23. spätestens in 10 Jahren wieder zusammenzukommen, um die Fortschritte zur Realisierung einer hohen Baukultur in Europa zu evaluieren und zu diskutieren.

Davos (Schweiz), 22. Januar 2018